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Würfel mit Geschlechtersymbolen
Traditionelle Knabenchöre bieten exzellente musikalische Ausbildungsbedingungen, finanziert von der öffentlichen Hand. Vergleichbare Institutionen für Mädchen fehlen.

VON NORA-HENRIETTE FRIEDEL UND MARLEEN HOFFMANN
erschie­nen in: Chor­zeit, Das Vokal­ma­ga­zin, Nr. 66, Dezem­ber 2019

Vor einem Jahr begann eine öffent­li­che Debat­te um renom­mier­te Kna­ben­chö­re und Gleich­stel­lung, die die Chor­sze­ne nach­hal­tig beschäf­tigt: Die Ber­li­ner Rechts­an­wäl­tin Susann Bräck­lein hat­te im Tages­spie­gel geschrie­ben, dass der gene­rel­le Aus­schluss von Mäd­chen eine ver­fas­sungs­wid­ri­ge Dis­kri­mi­nie­rung sei. Dabei dach­te sie vor allem an Chö­re, die in staat­li­cher Trä­ger­schaft eine her­aus­ra­gen­de musi­ka­li­sche Aus­bil­dung anbie­ten. «Eine Aus­bil­dung, die sich auch Eltern für ihre Töch­ter wün­schen», erklärt die Juris­tin und Mut­ter eines Mäd­chens. So wirbt etwa der Ber­li­ner Staats- und Dom­chor, des­sen Trä­ger die Uni­ver­si­tät der Küns­te (UdK) ist, mit einer kos­ten­frei­en Aus­bil­dung, was Bräck­lein umso mehr geär­gert habe, als ihre sie­ben­jäh­ri­ge Toch­ter ihr den Fly­er des über 550 Jah­re alten Kna­ben­cho­res in die Hand drück­te. Schon 2016 mel­de­te sie das Mäd­chen für den Staats- und Dom­chor an – ver­ge­bens. Sie pro­bier­te es erneut 2018, dies­mal par­al­lel auch beim Tho­man­erchor. Eigent­lich habe sie erst­mal nur eine Begrün­dung haben wol­len, denn sie sah die tat­säch­li­che Auf­nah­me ohne­hin als unrea­lis­tisch an.

Aus Ber­lin blieb ein Bescheid aus. Der Tho­man­erchor dage­gen bezog sich in sei­nem Ableh­nungs­be­scheid auf eine gewohn­heits­recht­li­che Dis­kri­mi­nie­rungs­be­fug­nis. Nach eini­gem Hin und Her mit der UdK – der Dekan der Fakul­tät Musik hat­te zwi­schen­zeit­lich geäu­ßert «Nie­mals kann ein Mäd­chen in einem Kna­ben­chor mit­sin­gen» – lud der Staats- und Dom­chor das Mäd­chen schließ­lich zu einem Ken­nen­ler­nen und Vor­sin­gen im März 2019 ein. Par­al­lel dazu reich­te die Mut­ter Kla­ge beim Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin ein, um zu erwir­ken, dass der Staats- und Dom­chor Mäd­chen nicht gene­rell wegen ihres Geschlechts ableh­nen dürfe.

Diskriminierungs- oder Kunstfreiheit? Grundrechte im Konflikt

Im August erging das Urteil, das Bräck­leins Kla­ge abwies. Der Chor­lei­ter habe für das Gericht glaub­haft erklärt, dass für ihn das Geschlecht kei­ne Rol­le spie­le und er das Mäd­chen auf­ge­nom­men hät­te, wenn es zum von ihm ange­streb­ten Chor­klang gepasst hät­te – eine Ableh­nung aus künst­le­ri­schen Grün­den. Mäd­chen allein wegen ihres Geschlechts aus­zu­schlie­ßen oder den Aus­schluss mit der männ­li­chen Tra­di­ti­on zu begrün­den, genü­ge aber nicht, so das Gericht. Es sei zwar für das Gericht nahe­lie­gend, dass das Auf­nah­me­kri­te­ri­um «Kna­ben­chor­klang» eher zur Auf­nah­me von Jun­gen als von Mäd­chen füh­re. Dies sei aber nur eine mit­tel­ba­re Ungleich­be­hand­lung. Offen blieb, wie der Kon­flikt der Grund­rech­te Dis­kri­mi­nie­rungs­frei­heit (Arti­kel 3, Absatz 3 im Grund­ge­setz) und Frei­heit der Kunst (Arti­kel 5, Absatz 3 eben­dort) auf­zu­lö­sen sei. Hier­für ließ das Gericht die Beru­fung zu. Das Ver­fah­ren ist also noch nicht abge­schlos­sen. Des­halb äußert sich die UdK der­zeit nicht dazu.

Die Klä­ge­rin zeigt sich mit dem Urteil ganz zufrie­den, auch wenn sie die Erklä­rung des Chor­lei­ters für ein rei­nes Lip­pen­be­kennt­nis hält: «In drei von vier Punk­ten hat das Gericht mei­ne Rechts­auf­fas­sung voll­um­fäng­lich geteilt. Der Tho­man­erchor hat im Anschluss an das Urteil frei­wil­lig sei­ne For­mal­po­si­ti­on tra­di­tio­nell-bio­lo­gi­scher Exklu­si­vi­tät geräumt und ein Mäd­chen ein­ge­la­den. Das ist doch ein gro­ßer Erfolg. Die Tür ist auf. Durch­ge­hen müs­sen dann ande­re», sagt sie.

«Wel­chen Teil des Wor­tes Kna­ben­chor hat die­se Heli­ko­pter­mut­ter nicht ver­stan­den?» – «Gen­der­wahn bedroht Kul­tur­er­be» so und ähn­lich lau­te­ten Reak­tio­nen auf den Fall in den sozia­len Medi­en und in der Lokal­pres­se. Auch in den Kom­men­tar­spal­ten der über­re­gio­na­len Feuil­le­tons dis­ku­tier­te man den Fall. Offen­bar hat­te er einen Nerv getrof­fen. Doch eigent­lich geht es um die Fra­ge der Chan­cen­gleich­heit für Jun­gen und Mäd­chen. Die Klä­ge­rin begrün­de­te ihr Vor­ge­hen ja mit der For­mel «Kom­men Res­sour­cen nicht zu Mäd­chen oder zu Mäd­chen­chö­ren, müs­sen Mäd­chen zu den Res­sour­cen kommen.»

Wie stehen Knaben- und Mädchenchöre finanziell wirklich da?

Dass es in Deutsch­land zahl­rei­che Kna­ben­chö­re in öffent­li­cher Trä­ger­schaft gibt, in denen Jun­gen eine inten­si­ve musi­ka­li­sche Aus­bil­dung auf höchs­tem Niveau erhal­ten, sieht die Klä­ge­rin im Wider­spruch zum Gleich­be­hand­lungs­grund­satz, da ver­gleich­ba­re Insti­tu­tio­nen nicht für Mäd­chen exis­tier­ten. Die Fra­ge, wie es sich denn nun tat­säch­lich mit dem Klang­un­ter­schied zwi­schen Kna­ben- und Mäd­chen­stim­men ver­hal­te und ob es musi­ka­lisch und päd­ago­gisch sinn­voll sei, Kna­ben­chö­re auch für Sän­ge­rin­nen zu öff­nen, das wur­de aus­führ­lich dis­ku­tiert. Die Chor­zeit wird die­ser Fra­ge­stel­lung in einer der nächs­ten Aus­ga­ben einen eige­nen Arti­kel wid­men. Was bis­lang weni­ger trans­pa­rent ist: Wie ste­hen die Kna­ben- und Mäd­chen­chö­re im Land wirk­lich finan­zi­ell da – mit wel­chen Res­sour­cen, unter wel­chen Bedin­gun­gen arbei­ten sie und was kos­tet das die jun­gen Sän­ge­rIn­nen bezie­hungs­wei­se deren Eltern?

Um das in Erfah­rung zu brin­gen, star­te­te die Chor­zeit eine Umfra­ge unter mehr als 50 Kna­ben- und Mäd­chen­chö­ren. Ein Drit­tel davon beant­wor­te­te unse­ren Fra­gen­ka­ta­log. Das ergibt zwar kein reprä­sen­ta­ti­ves Bild, aber bestimm­te Ten­den­zen las­sen sich able­sen. Wich­tig vor­weg­zu­schi­cken ist jeden­falls: Die Kul­tur­aus­ga­ben der Kom­mu­nen und Län­der ran­gie­ren über­all weit unten in den Haus­halts­plä­nen. Inso­fern soll es hier nicht dar­um gehen, eine Neid­de­bat­te zu ent­fa­chen, denn alle haben ver­gleichs­wei­se wenig und es ist lei­der nicht unüb­lich, dass im Musik­be­reich Täti­ge einen Teil ihrer Arbeit unbe­zahlt machen.

Was jeden­falls nicht ganz stimmt, ist dass die 250 Kna­ben und über 75 jun­gen Män­ner der elf unter­schied­li­chen Chor­grup­pen des Ber­li­ner Staats- und Dom­chors (SDC) eine kos­ten­lo­se Aus­bil­dung genie­ßen. Der Chor an der UdK, die vom Land Ber­lin und vom Bund den Groß­teil ihrer Mit­tel erhält, erhebt zwar kei­ne fes­ten Mit­glieds­bei­trä­ge. Jedoch, so eine Mut­ter mit zwei Söh­nen im SDC, wird den Eltern zu Beginn jedes Schul­jah­res nahe­ge­legt, einen frei­wil­li­gen Bei­trag zu zah­len – je nach Chor­grup­pe und ent­spre­chen­der Pro­ben­dich­te eine bestimm­te Sum­me. Schließ­lich probt der Kon­zert­chor drei­mal wöchent­lich und jeder Sän­ger erhält Stimmbildung.

Eine inten­si­ve musi­ka­li­sche Aus­bil­dung, in der Kin­der auf­ein­an­der auf­bau­en­de Chor­grup­pen durch­lau­fen, im Kon­zert­chor schließ­lich mehr­mals die Woche pro­ben, dazu regel­mä­ßig ein­zeln oder in Klein­grup­pen Stimm­bil­dung erhal­ten, ein brei­tes Auf­tritts­pen­sum absol­vie­ren und dabei viel Chor­li­te­ra­tur ken­nen­ler­nen – das gibt es vor allem bei den kirch­lich getra­ge­nen Chö­ren kos­ten­los, so etwa bei den Esse­ner und den Würz­bur­ger Dom­sing­kna­ben, dem Mäd­chen­chor am Esse­ner Dom und der Mäd­chen­kan­to­rei am Würz­bur­ger Dom (katho­lisch), aber auch beim öku­me­ni­schen Kna­ben­chor col­le­gi­um iuvenum Stutt­gart (freie Trä­ger­schaft). Unter den Chö­ren, die sich bei uns zurück­mel­de­ten, war der Stadt­sin­ge­chor Hal­le, ein Kna­ben­chor mit über 900 Jah­re alter Tra­di­ti­on, der ein­zi­ge Chor in öffent­li­cher Trä­ger­schaft, des­sen Mit­glie­der kei­ne Bei­trä­ge zah­len müssen.

Die ande­ren bei­den mit­tel­deut­schen Aus­hän­ge­schil­der, der Dresd­ner Kreuz­chor und der Leip­zi­ger Tho­man­erchor, sind eben­falls voll­stän­dig städ­tisch getra­ge­ne Ensem­bles. Wer einen Sohn im Tho­man­erchor und im dazu­ge­hö­ri­gen Inter­nat hat, muss monat­lich 140 Euro zah­len. Deut­lich grö­ße­res finan­zi­el­les Enga­ge­ment for­dert der in der­sel­ben Liga spie­len­de Winds­ba­cher Kna­ben­chor, eine juris­tisch eigen­stän­di­ge Ein­rich­tung der Evan­ge­lisch-Luthe­ri­schen Kir­che in Bay­ern und eben­falls ein Inter­nats­chor. Hier zahlt man monat­lich bis zu 765 Euro.

Versuch, in Windsbach einen Mädchenchor zu etablieren

In Winds­bach sei übri­gens vor zwölf Jah­ren der Ver­such geschei­tert, neben dem Kna­ben­chor einen Mäd­chen­chor zu eta­blie­ren, berich­te­te Domradio.de Anfang des Jah­res. Im Winds­ba­cher Inter­nat hät­ten sich damals zu weni­ge Mäd­chen ange­mel­det und damit sei­en zu weni­ge bereit gewe­sen, sich auf die für den Kna­ben­chor geschaf­fe­nen Bedin­gun­gen ein­zu­las­sen. Seit den 1970er Jah­ren bis in die Nuller­jah­re hin­ein grün­de­ten die meis­ten gro­ßen katho­li­schen Kna­ben­chö­re eige­ne Mädchenchöre.

Am Aache­ner, Esse­ner und Würz­bur­ger Dom etwa oder am Frei­bur­ger Müns­ter lie­gen ange­stamm­ter Kna­ben­chor und rela­tiv jun­ger Mäd­chen­chor jeweils in punc­to Arbeits­be­din­gun­gen gleich­auf. Doch was die öffent­li­che Wahr­neh­mung betrifft, erge­ben sich noch immer Unter­schie­de: Der Kna­ben­chor ist eta­bliert und in kirchen(musik)fernen Publi­kums­schich­ten hat es sich mit­un­ter auch nach Jahr­zehn­ten nicht her­um­ge­spro­chen, dass ihm ein eben­bür­ti­ger Mäd­chen­chor zur Sei­te steht. Das hängt wohl auch damit zusam­men, dass Kna­ben­chö­re mit ihrer Stimm­be­set­zung die gro­ßen Ora­to­rien­wer­ke auf­füh­ren kön­nen, wäh­rend Mäd­chen­chö­re eher weni­ger bekann­te Lite­ra­tur zu Gehör brin­gen, die wie­der­um nicht das ganz brei­te Publi­kum anzieht. Um auch mal eine h‑Moll-Mes­se auf­zu­füh­ren, müs­sen sich Mäd­chen­chö­re Män­ner­stim­men lei­hen – und dies wie­der­um braucht Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft ande­rer Chö­re und ent­spre­chen­de Pro­ben­lo­gis­tik. Den­noch machen auch Mäd­chen­chö­re bei Wett­be­wer­ben regel­mä­ßig mit Best­plat­zie­run­gen auf sich auf­merk­sam, so zum Bei­spiel die Mäd­chen­chö­re am Esse­ner und am Köl­ner Dom, wäh­rend die jewei­li­gen Kna­ben­chö­re eher sel­ten sol­che Büh­nen betreten.

Wo singen die meisten mit? Wie hoch ist die Ablehnungsquote?

In wel­chem Chor sin­gen die meis­ten Kin­der und Jugend­li­chen? Die Ant­wor­ten, die uns erreich­ten, wei­sen den Kna­ben­chor Han­no­ver als Spit­zen­rei­ter aus: Hier sin­gen etwa 240 Sän­ger – etwa 30 kom­men jedes Jahr neu in den Chor. Es folgt der Ber­li­ner Mäd­chen­chor, in dem der­zeit 208 Mäd­chen und jun­ge Frau­en sin­gen. In punc­to Neu­zu­gän­ge ist die­se 1986 gegrün­de­te Chor­schu­le Spit­zen­rei­ter: 65 neue Sän­ge­rin­nen wur­den in die­sem Jahr auf­ge­nom­men, dar­über hin­aus gibt es eine War­te­lis­te. Je 200 Sän­ge­rIn­nen sin­gen aktu­ell beim Ham­bur­ger Mäd­chen­chor und beim col­le­gi­um iuvenum Stutt­gart. Dage­gen nimmt sich etwa der Tho­man­erchor mit sei­nen aktu­ell 93 Sän­gern, von denen elf in der Muta­ti­ons­pau­se sind, ziem­lich exklu­siv aus. Im Winds­ba­cher Kna­ben­chor sin­gen mit 128 Jun­gen wesent­lich mehr, und das, obwohl hier mehr als die Hälf­te aller Vor­sin­gen­den die Auf­nah­me­prü­fung nicht bestehen.

Damit hat der Chor die höchs­te Ableh­nungs­quo­te unse­rer Umfra­ge. Beim Tho­man­erchor schaf­fen es etwa 30 Pro­zent der Aspi­ran­ten nicht, in den Chor auf­ge­nom­men zu wer­den, bei den ande­ren Chö­ren meist höchs­tens 20 Pro­zent, eini­ge gaben auch an, dass nie­mand abge­lehnt werde.

Welcher Chor bestreitet wie viele Auftritte?

Die Land­schaft deut­scher Kna­ben- und Mäd­chen­chö­re ist durch­aus kom­plex. Auf wel­chem Niveau die päd­ago­gi­sche und künst­le­ri­sche Arbeit statt­fin­den kann, hängt natür­lich einer­seits von der Qua­li­fi­ka­ti­on der Chor­lei­tung ab. Hier­an man­gelt es aber eigent­lich nie. Ent­schei­den­der ist das Zeit­bud­get, dass die Chor­lei­tung zur Ver­fü­gung hat, außer­dem die Fra­ge, ob auch Res­sour­cen vor­han­den sind, um Assis­tenz­kräf­te und Stimm­bild­ne­rIn­nen zu bezah­len, ob Raum­mie­te anfällt, ob es ein pro­fes­sio­nel­les Manage­ment gibt – oder statt­des­sen das künst­le­ri­sche Per­so­nal oder Ehren­amt­li­che Orga­ni­sa­ti­ons­auf­ga­ben über­neh­men müs­sen. Genau hier tun sich die Unter­schie­de auf.

So etwa lei­tet Gesa Wehr­hahn, Stu­di­en­rä­tin an einem Musik­gym­na­si­um, den Jugend- und den Kon­zert­chor des Mäd­chen­chors Ham­burg unter dem Dach der Staat­li­chen Jugend­mu­sik­schu­le Ham­burg mit einer Teil­zeit­stel­le. Das beinhal­tet vier Pro­ben wöchent­lich – für etwa 40 Kon­zer­te im Jahr. Alle vier Jah­re qua­li­fi­ziert sich der Chor zudem für den Deut­schen Chor­wett­be­werb. Eben­so vie­le Kon­zer­te gibt der Winds­ba­cher Kna­ben­chor, bei dem noch lit­ur­gi­sche Diens­te hin­zu­kom­men. Nur der Tho­man­erchor liegt mit 50 Motet­ten, 25 Got­tes­diens­ten und 30 Kon­zer­ten noch darüber.

2,5 Mil­lio­nen Euro umfasst übri­gens das Jah­res­bud­get inklu­si­ve Inter­nats­be­trieb der Tho­man­er, die rein recht­lich ein kom­mu­na­les Unter­neh­men der Stadt Leip­zig sind. Der Chor beschäf­tigt etwa 50 Men­schen in Voll- und Teil­zeit. Mit 250.000 Euro, also zehn Pro­zent davon, eben­falls über­wie­gend aus öffent­li­chen Mit­teln, wirt­schaf­tet die Scho­la Can­torum. Unter ihrem Dach befin­det sich der etwa 60-köp­fi­ge Mäd­chen­chor der Stadt Leip­zig und ins­ge­samt etwa 300 Sän­ge­rIn­nen in sie­ben Grup­pen. 20.000 Euro gene­riert die Scho­la zusätz­lich aus Spen­den und durch den För­der­ver­ein. Sie beschäf­tigt fünf Ange­stell­te in Voll- und Teil­zeit, dazu 21 Honorarkräfte.

160.000 Euro beträgt das Jah­res­bud­get des Ber­li­ner Mäd­chen­chors (Trä­ger: öffent­li­che Musik­schu­le City West), eben­falls regel­mä­ßig auf den vor­de­ren Plät­zen beim Deut­schen Chor­wett­be­werb. Die Hälf­te davon ist För­de­rung der öffent­li­chen Hand. Alle sie­ben bis acht künst­le­risch-päd­ago­gi­schen Mit­ar­bei­te­rin­nen sind auf Hono­rar­ba­sis beschäf­tigt, das Manage­ment über­neh­men zwei Ehren­amt­li­che mit zusam­men 30 Stun­den in der Woche. Der Kna­ben­chor Han­no­ver erhält 60.000 Euro öffent­li­che För­de­rung im Jahr, gene­riert aber den Groß­teil des zehn mal so hohen Jah­res­bud­gets über Ein­nah­men sei­ner 40 Kon­zer­te im Jahr, über Spen­den, eine eige­ne Stif­tung, den För­der­ver­ein und Mit­glieds­bei­trä­ge bis zu 60 Euro im Monat. Nur fünf Pro­zent ihres Bud­gets bekom­men die Chor­kna­ben Ueter­sen, die regel­mä­ßig mit beson­de­ren Pro­jek­ten und CD-Pro­duk­tio­nen auf sich auf­merk­sam machen, aus öffent­li­cher Zuwen­dung. 95 Pro­zent kom­men über Mit­glieds­bei­trä­ge (41 Euro monat­lich), Kon­zert­ein­nah­men und pri­va­te Spon­so­ren zusammen.

Deutsche Orchestervereinigung: Ungleichheit beseitigen

Fazit: Unterm Dach der katho­li­schen Kir­che arbei­ten Kna­ben- und Mäd­chen­chö­re unter rela­tiv soli­den, gleich­be­rech­tig­ten Bedin­gun­gen. Bei Chö­ren in öffent­li­cher Trä­ger­schaft klafft eine gro­ße Lücke zwi­schen den gut aus­ge­stat­te­ten, Jahr­hun­der­te alten tra­di­tio­nel­len Kna­ben­chö­ren und Mäd­chen­chö­ren, die mit deut­lich weni­ger Mit­teln den­noch Erstaun­li­ches leis­ten. Freie Chö­re müs­sen bei sehr über­schau­ba­rer öffent­li­cher För­de­rung krea­tiv ande­re Finan­zie­rungs­quel­len anzapfen.

Gerald Mer­tens, Geschäfts­füh­rer der Deut­schen Orches­ter­ver­ei­ni­gung, die auch die Rund­funk­chö­re ver­tritt, weist dar­auf hin, dass Kna­ben aus Tra­di­ti­ons­chö­ren durch die umfas­sen­de Aus­bil­dung im Musik­in­ter­nat zudem deut­lich im Vor­teil sind beim Weg an die Musik­hoch­schu­le und schließ­lich in die pro­fes­sio­nel­le Lauf­bahn. Die­se Kna­ben genös­sen zudem durch die Tra­di­ti­on, den Ruf und die finan­zi­el­le Aus­stat­tung ihres Cho­res das Pri­vi­leg den aller­meis­ten Mäd­chen­chö­ren gegen­über, mit beson­ders renom­mier­ten Künst­le­rIn­nen und Klang­kör­pern an pres­ti­ge­träch­ti­gen Auf­tritts­or­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten. Daher äußert Mer­tens im Namen sei­nes Ver­bands die Auf­fas­sung, «dass öffent­lich geför­der­te Kna­ben­chö­re, die eine umfas­sen­de insti­tu­tio­nel­le Aus­bil­dung anbie­ten, durch die öffent­li­che Hand zu ver­pflich­ten sind, ent­spre­chend gleich­wer­ti­ge Aus­bil­dungs­an­ge­bo­te auch an Per­so­nen des ande­ren Geschlechts zu unter­brei­ten». Natür­lich müss­ten dann auch die ent­spre­chend not­wen­di­gen Mit­tel bereit­ge­stellt wer­den und in jeder Stadt wird dafür eine indi­vi­du­el­le Lösung nötig sein, die die Chan­cen­gleich­heit von Jun­gen und Mäd­chen garantiert.

Titelfoto: Monster Ztudio – stock.adobe.com
Die Schola Cantorum Leipzig wurde 1963 gegründet und vereint heute etwa 300 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in verschiedenen Ensembles.
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