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Petersbogen - Blick zum Neuen Rathaus

Am kom­men­den Mon­tag, dem 31. August 2015, wird das tra­di­tio­nel­le Frie­dens­ge­bet in der Leip­zi­ger Niko­lai­kir­che unter dem Mot­to "Wachet und betet" im Geden­ken an den Über­fall Nazi­deutsch­lands auf Polen am 1. Sep­tem­ber vor 76 Jah­ren statt­fin­den. Über 50 Mit­glie­der aus Mäd­chen­chor und Ensem­ble der Scho­la Can­torum Leip­zig wer­den die Ver­an­stal­tung, an der auch der pol­ni­sche Erz­bi­schof Mus­zyn­ski sowie der ehe­ma­li­ge Leip­zi­ger Stadt­prä­si­dent und Super­in­ten­dent Fried­rich Magi­ri­us teil­neh­men wer­den, musi­ka­lisch mit der "Mis­sa bre­vis" von Ben­ja­min Brit­ten umrah­men. Zuvor wird der Ober­bür­ger­meis­ter der Stadt Leip­zig, Burk­hard Jung, am Ehren­mal für die pol­ni­schen Gefal­le­nen des zwei­ten Welt­krie­ges auf dem Ost­fried­hof einen Kranz niederlegen.

Fast zeit­gleich mit dem Frie­dens­ge­bet in der Niko­lai­kir­che wer­den auf dem Richard-Wag­ner-Platz nach Ver­an­stal­ter­an­ga­ben bis zu 1000 Teil­neh­mer der frem­den­feind­li­chen "Pegi­da" zu Kund­ge­bung und "Abend­spa­zier­gang" erwar­tet, wäh­rend hun­der­te Flücht­lin­ge in pro­vi­so­ri­schen Not­un­ter­künf­ten in unse­rer Stadt Schutz suchen, auf ihr Asyl­ver­fah­ren oder die Zutei­lung men­schen­wür­di­gen Wohn­raums war­ten und welt­weit über 60 Mil­lio­nen Män­ner, Frau­en und Kin­der auf der Flucht vor Krieg und Gewalt sind. An die­sem Abend wer­den in Leip­zig durch Lutz Bach­mann und sei­ne "Islam­kri­ti­ker" zum inzwi­schen so ermü­den­den wie pein­li­chen und uner­träg­li­chen 16. Male in gro­ßer Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit die Res­sen­ti­ments und Vor­ur­tei­le geschürt, die in den 30er Jah­ren des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts den Nähr­bo­den für eine der größ­ten Tra­gö­di­en der Mensch­heits­ge­schich­te bildeten.

Seit über 50 Jah­ren ler­nen an der Scho­la Can­torum Kin­der und Jugend­li­che gemein­sam Musik zu machen und über­win­den dabei in den wöchent­li­chen Chor­pro­ben Tren­nen­des wie Haut­far­be, sozia­le Her­kunft oder Bil­dungs­grad. Wir Musik­päd­ago­gen müs­sen dabei per­ma­nent Wer­te wie Respekt, Tole­ranz, Gemein­schaft sowie das Hin- und Auf­ein­an­d­er­hö­ren ver­mit­teln, sonst errei­chen wir kei­nen guten gemein­sa­men Klang. Der ehe­ma­li­ge Bun­des­prä­si­dent Roman Her­zog geht sogar noch einen Schritt wei­ter: "Die Spra­che der Musik ist uner­schöpf­lich in ihrer Viel­falt, sie durch­bricht Mau­ern der Ver­ein­sa­mung, sie ver­bin­det Men­schen miteinander."

Wir Musi­ker, aber auch unse­re Sän­ge­rin­nen und Sän­ger, dür­fen nicht zulas­sen, dass men­schen­ver­ach­ten­des Gedan­ken­gut den Weg in die Mit­te unse­rer Gesell­schaft fin­det und sich die Geschich­te wie­der­holt. Die Scho­la Can­torum singt am Vor­abend des 1. Sep­tem­ber in der Niko­lai­kir­che nicht nur im Geden­ken an Ereig­nis­se, die mehr als ein drei­vier­tel Jahr­hun­dert zurück­lie­gen. Wir müs­sen mit unse­rer Musik auch den Bogen ins Hier und Heu­te schla­gen, auf­hö­ren zu schwei­gen, einen Blick über den eige­nen Tel­ler­rand wagen und viel­leicht die Ein­sicht ris­kie­ren, dass wir unse­ren rei­chen Wohl­stand tei­len müs­sen, um in Frie­den mit­ein­an­der zu leben. Fried­rich Magi­ri­us hat im Vor­ge­spräch zum Frie­dens­ge­bet am 31. August for­mu­liert: "Statt in angst­vol­ler Selbst­be­haup­tung zu ver­har­ren, gilt es, dem Hass eine Kraft ent­ge­gen zu set­zen und Ver­ge­bung zu erbit­ten.“ Die­se Ver­ge­bung wün­sche ich von Her­zen all denen, die sich um 19 Uhr auf dem Richard-Wag­ner-Platz ver­sam­meln wer­den und bekräf­ti­ge die Ein­la­dung von Stadt und Kir­chen um 17 Uhr in die Leip­zi­ger Nikolaikirche.

Mar­cus Friedrich
künst­le­ri­scher Lei­ter der Scho­la Can­torum Leipzig

Titelfoto: Michael Bader
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