Durch bahnbrechende Komponisten wie Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Beethoven und andere Zeitgenossen erfährt die Entwicklung der Musik einen bis dahin noch nicht dagewesenen, neuen gesellschaftlichen Stellenwert. Es entwickelt sich der bis heute andauernde Konzertbetrieb und dieser steht für gesellschaftlich Bildung und Geselligkeit. Für das gebildete Bürgertum entstehen Konzerthäuser, Singakademien, Berufsorchester und Opernhäuser.
Musikgeschichte(n) aus der Quarantäne
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Zusammenfassung
Durch bahnbrechende Komponisten wie Schubert, Mendelssohn Bartholdy, Beethoven und andere Zeitgenossen erfährt die Entwicklung der Musik einen bis dahin noch nicht dagewesenen, neuen gesellschaftlichen Stellenwert. Es entwickelt sich der bis heute andauernde Konzertbetrieb und dieser steht für gesellschaftlich Bildung und Geselligkeit. Für das gebildete Bürgertum entstehen Konzerthäuser, Singakademien, Berufsorchester und Opernhäuser.
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Wer hat's gemacht?
Dieser Artikel wurde mit ♥ für Euch verfasst von Henriette. Henriette studierte Musikwissenschaften in Weimar sowie klassischen Gesang in Leipzig und ist als freischaffende Sängerin tätig. Während des Corona-Shutdowns unterstützt sie die Schola Cantorum mit Beiträgen zur Musikgeschichte und beweist dabei: Wissenschaft ist alles andere als graue Theorie!
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Lesedauer
Lesedauer: 35 Minuten • Musikbeispiele: 1.412 Minuten
8. Kapitel: Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts
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Epochenbezeichnung und Strömungen
Die Zeit des 19. Jahrhunderts wird in den verschiedenen Kunstformen oft leichtfertig als die “Romantik” bezeichnet. Doch spätestens jetzt werden die verschiedenen Strömungen so vielfältig dass man schlecht daran täte, sie alle mit diesem Begriff über einen Kamm zu scheren. Ja, die romantische Strömung ist sicherlich die bedeutendste; neben ihr existieren aber auch andere, die man nicht vergessen sollte. Die Jahrhundertmitte markiert sowohl politisch (europäische Revolution, Beginn der Industrialisierung) als auch musikalisch (Tod Felix Mendelssohn Bartholdys und Robert Schumanns) einen Wendepunkt in der Geschichte, weshalb eine Teilung hier sinnvoll erscheint. Dies sind die Hauptströmungen des 19. Jahrhunderts:
1. Romantik
Die romantische Denkweise geht von den Dichtern und Denkern in Deutschland aus. Bedeutend ist hierbei der Antirationalismus (also die Idee, dass Gefühl über Verstand geht), die Verherrlichung der Natur, der Phantasie und der Seele. Individuelle sowie räumliche, zeitliche und ästhetische Grenzen sollen überwunden werden. Utopien und Träume werden wichtig. Das Interesse für die unbewussten und melancholischen Seiten der menschlichen Seele wächst und soll zum Ausdruck gebracht werden. Später spielt auch eine Abkehr von der Realität hin zur verklärten Vergangenheit eine große Rolle. Die Vorliebe für Utopien und Sagenhaftes findet in der Musik ihren Niederschlag: Vertont werden oft Werke der Literatur, wie Märchen oder Sagen. Ausdrucksstärke und Eindringlichkeit der Musik erreichen einen Höhepunkt, auch durch die Ausweitung der Harmonik und musikalischer Stilelemente. Alles Reale soll auf eine höhere, geistig-poetische, emotionale Ebene gehoben werden.
2. Biedermeier
Diese Strömung verläuft parallel zur Romantik und grenzt sich von ihr teilweise stark ab. Wo die Romantik sich abkehren möchte von bürgerlichen Konventionen, wird der Biedermeier entscheidend von diesen geprägt: So spielen bürgerliche Institutionen wie die Hausmusik oder Männerchöre eine wichtige Rolle. Man hält fest an gewissen Kompositionstraditionen und ‑techniken, die die Romantik zu individualisieren sucht. Die Musik soll gesellig sein und auch die Bildung vorantreiben.
3. Realismus
Der Realismus möchte (im Gegensatz zur Klassik und vor allem zur Romantik) die echte Wahrheit abbilden. Das hat zur Folge, dass ästhetische Grenzen nicht selten bis ins Hässliche gesprengt werden. Musikalische Formen und Traditionen werden nicht beachtet, wenn der reale Ausdruck etwas anderes verlangt.
4. Historismus
Das erste Mal in der Musikgeschichte werden die Werke der Vergangenheit nicht als altmodisch abgetan, sondern bewundert und dadurch auch wieder vermehrt aufgeführt. So werden beispielsweise alte Satztechniken gelehrt und zur Grundlage moderner Kompositionen gemacht. (Man denke an die Wiederaufführung der Bach’schen Matthäuspassion durch Felix Mendelssohn Bartholdy und deren Einfluss auf dessen eigenes Schaffen.) Besonders Palestrina, Bach, Mozart und gegen Ende des Jahrhunderts auch Beethoven werden regelrecht verklärt.
5. Nationalismus
Diese Strömung schlägt sich weniger in den Kompositionstechniken nieder, vielmehr in der Wahl des Inhalts. Die im 19. Jahrhundert wachsende Bedeutung der Nation spiegelt sich hier wieder. So ist zu erklären, dass in Deutschland das Volkslied wieder eine große Rolle spielt und “deutsche” Geschichten zum Inhalt von Opern werden (in anderen Ländern natürlich entsprechend).
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Die Oper in Italien
Durch den Bedeutungsgewinn der deutschen Instrumentalmusik hatte es die italienische Oper im restlichen Europa nach Beginn des 19. Jahrhunderts eher schwer. In Italien jedoch entwickelte sie sich sehr rasant weiter. Nach wie vor ist die Opera seria die wichtigste Operngattung, auch wenn die Opera buffa bis zur Jahrhundertmitte an Bedeutung gewinnt und der Seria ebenbürtig wird. Das geschieht nicht zuletzt durch eine gegenseitige Beeinflussung der beiden Operntypen, die manchmal die Entscheidung, um welchen Typus es sich nun handelt, schwer macht.
In der Seria werden “romantische”, also sagenhafte, romanhafte oder utopische Geschichten Dort findet man auch biblische Stoffe oder Stoffe mit Lokalkolorit. Aus Zeitmangel verwenden die Librettisten oft Werke der Literatur und adaptieren den Text, sodass er auf die Musik passt. Die Buffa konzentriert sich nach wie vor auf komödiantische, alltägliche und auch aktuelle Themen. Die Kastratensänger verschwinden vollends. Die Tradition, die Rolle eines jungen Mannes mit einer höheren Stimme zu besetzen, bleibt allerdings bestehen: Die Partien werden von Mezzosopranistinnen und Altistinnen übernommen. Ab etwa 1820 stirbt zudem das Secco-Rezitativ aus und weicht einer “Scena”, die ein orchesterbegleitetes Accompagnato-Rezitativ darstellt. Zusammen mit der Auflösung der strikten Grenzen zwischen “Arioso”, “Arie” und “Ensemble” führt das zu einer mehr oder weniger durchkomponierten Oper, die ein ganzes (anstatt vieler Einzelnummern) ergibt. Der bekannteste Komponist dieser sogenannten “Scena musicale” ist Gioacchino Rossini. Seine Oper “La Cenerentola” ist ein gutes Beispiel.
Anknüpfend an Rossinis Errungenschaften übernehmen ab 1830 Vincenzo Bellini und Gaetano Donizetti das "Ruder". Sie begründen die “italienische Gesangsoper”. Diese zeichnet sich besonders durch lange, lyrische Kantilenen, große Expressivität und viel Chorszenen aus. Donizetti reizt die musikalischen Möglichkeiten noch weiter aus und erreicht damit neue Formen. Bellinis Arie "Casta Diva" aus "Norma" verdeutlicht die langen Kantilenen, die die Sänger singen müssen (dürfen).
Bellinis "Se Romeo t'uccise un figlio" ist ein gutes Beispiel für die Partie einer “Hosenrolle”, also einer Männerrolle, die von einer Frau übernommen wird.
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Die Oper in Frankreich
Paris, die Hauptstadt Frankreichs, ist im 19. Jahrhundert das Zentrum der Oper. Jeder Komponist Europas muss dort bestehen, um Erfolg zu haben. Erstaunlicherweise hält sich die “Tragédie lyrique” nach Gluck noch sehr lange. Stoffe der Antike sind in Frankreich nach wie vor sehr beliebt – die Musik muss dem Inhalt dienen. Gaspare Spontini versucht, italienische Elemente mit denen Glucks zu verschmelzen. Deutlich wird dies beispielsweise in seine Oper “La Vestale”.
In den Jahren 1830 bis 1848 entwickelt sich in Frankreich der Typus der “Grand opéra”. Sie zeichnet sich durch extrem aufwendige musikalische und szenische Mittel sowie ernste Stoffe aus. Diese speisen sich aus historischen Geschichten, Legenden und Märchen. Eine Besonderheit dieses Gattungstypus ist das so genante “Tableau”, ein zur besonderen Schau gestellter Augenblick, der musikalisch und szenisch besonders gewürdigt wird.
Nach wie vor spielt das Ballett eine große Rolle. Überhaupt ist eine aufwendige Ausstattung und eine Beschäftigung möglichst vieler Beteiligter wichtig. Die “Grand opéra” ist ein Sammelbecken für alle Stile, die in Europa kursieren. Sie versucht die Handlung möglichst präzise darzustellen. Auch hier verschwinden die Kontraste zwischen den einzelnen Nummern und Übergänge sind fließend. Der Schwerpunkt verlagert sich von der Soloarie hin zu großen Ensembles. Durch die Ausrichtung auf Effekt und der Vielfältigkeit der Stile war die Gattung außerhalb Frankreichs durchaus umstritten. Die berühmtesten Vertreter sind Giacomo Meyerbeer, Hector Berlioz und Daniel-Francois-Esprit Auber. Herzliche Einladung zu zwei schönen Opernabenden!
Zu einer über Frankreich hinaus wichtigen Gattung wird die “Opéra comique”. Zum Jahrhundertbeginn beherrschte die sogenannte “Schreckens-" oder”Rettungsoper” das Feld, in der die Hauptfigur in letzter Sekunde aus größter Gefahr errettet wird. Ab 1810 sind heitere, abenteuerliche Stoffe wieder häufiger anzutreffen. Doch so groß die inhaltliche und musikalische Vielfalt auch ist, allen Opern dieser Gattung ist gemein, dass sie statt gesungener Rezitative gesprochene Dialoge haben. Das führt dazu, dass der Aufbau der “Opéra comique” klar gegliedert ist (anders als bei der “Grand opéra”). Die Hauptvertreter sind unter anderem Cherubini, Auber, Adam und Halévy.
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Die Oper in Deutschland
In Deutschland entsteht im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zur Französischen und Italienischen Oper und im Sinne des erstarkenden Nationalbewusstseins eine eigenständige deutsche Oper: Die “deutsche romantische Oper”. Stoffe waren Märchen und Legenden, oft aus dem Mittelalter oder dem Orient. Geister, Naturkräfte, unheimliche Wesen und Übernatürliches spielten ganz oft eine Rolle. Formal ist die “deutsche romantische Oper” ein Konglomerat aus der französischen “Opéra comique”, des deutschen Singspiels und der italienischen Oper. Durch die Nähe zum Singspiel hat die Oper vorerst gesprochene Texte, die sich aber gegen die Jahrhundertmitte zu auskomponierten Rezitativen "mausern" und somit auch hier die Tendenz zur groß angelegten Szene begünstigen.
Es ist Carl Maria von Weber, der DIE deutsche Nationaloper komponiert: “Der Freischütz”. Diese Oper ist das Musterbeispiel dieser Gattung, behandelt eine Volkssage, spielt im romantisierten “deutschen Wald”, hat gesprochene Dialoge, große Ensembles und Arien. Der Chor verkörpert sowohl das Volk, repräsentiert aber auch das Übernatürliche. Weitere bedeutende Komponisten sind Louis Spohr und Heinrich Marschner.
Als Operngattung des Biedermeier gilt die “deutsche Spieloper”, die von Albert Lortzing gegründet und maßgeblich geprägt wird. Es geht um bürgerlich-heitere Stoffe. Auch diese Gattung nutzt gesprochene Dialoge und vereint ansonsten musikalische Elemente aus der “Opéra comique”, der “Opera buffa”, dem Wiener Singspiel und der “deutschen romantischen Oper”. Otto Nicolai, ein berühmter Komponist dieser Gattung, zählt mit "Den lustigen Weibern von Windsor" zu den heute noch viel gespielten.
Neben der Oper entstehen die Schauspielmusik (die innerhalb eine gesprochenen Schauspiels gespielt wird und oft als Ouvertüre, Schlussstück oder im Drama konkret vorkommenden Liedern auftritt), sowie das Ballett als eigenständige Gattung.
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Die Kirchenmusik
Die Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts ist von der immer stärkeren Säkularisation betroffen, denn durch die Schließung von Kapellen und Kantoreien wird ihr die Basis entzogen. Infolgedessen entwickelt sich die Kirchenmusik weg vom “bloßen”, in den Gottesdienst eingebundenen Gotteslob hin zu einer anderen Funktion: der Erweckung religiöser Gefühle (zunehmend auch in Konzertsälen). War die Kirchenmusik einst der alleinige Träger musikalischer Entwicklungen, sieht sie sich nun in Konkurrenz zur Oper, zur Instrumentalmusik im Konzertsaal, zum Ballett, zur Kammermusik und allen anderen Gattungen.
Die Kirchenmusik ist geprägt von der Strömung des Historismus, die eine Rückkehr zur A‑capella-Musik anstrebt und deren wichtigste Bewegung der Cäcilianismus ist. (Wer sich darüber eingehender informieren möchte, dem sei die Website kathpedia.com empfohlen.) Besonders die katholische Kirchenmusik steht zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch unter dem Einfluss der beiden großen Messen Beethovens sowie der Messen Franz Schuberts.
In der Tradition von Haydn steht auch Luigi Cherubini, der in Frankreich bedeutende Messen schreibt. Hector Berlioz steht in Frankreich und Gioacchino Rossini in Italien für die dramatische, wenig rückbesinnte katholische Kirchenmusik, deren Inspiration eher aus der Oper kommt.
Auch in der evangelischen Kirchenmusik gibt es Tendenzen, sich auf alte musikalische Formen zurückzubesinnen: Das geistliche Volkslied, die A‑capella-Musik und das Kirchenlied werden Bühne der Restaurationsbestrebungen. In diese Kerbe schlägt auch die Wiederentdeckung der Bach’schen Oratorien und der Werke Heinrich Schütz’. Felix Mendelssohn Bartholdy, der sich um die Wiederaufführung der Matthäuspassion von Bach verdient machte, ließ sich auch von dessen Werken zu seinen eigenen Oratorien und anderer Kirchenmusik inspirieren. Er sprengt mit ihnen die Grenzen zwischen Kirche und Konzertsaal. Beispielgebend soll hier der "Lobgesang" genannt sein. Mit seinem eindeutig christlichen Inhalt ist er für die Aufführung im Konzertsaal gedacht.
Durch das Aufblühen des Chorwesens im Sinne der bürgerlichen Bildung wird das Oratorium zu einer sehr beliebten Gattung. Es entstehen so genannte “Singakademien” (die berühmteste unter Carl Friedrich Zelter in Berlin), die Schauplatz der Oratorienaufführungen werden. Die in Deutschland wichtigsten neuen Oratorien des beginnenden Jahrhunderts sind die von Mendelssohn Bartholdy, “Paulus” und “Elias” sowie ein unvollständig gebliebener “Christus”.
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Das Lied
Die Gattungsbezeichnung “Lied” ist sehr weitläufig. Werke verschiedenster Besetzungen werden darunter zusammengefasst.
Das Volkslied
Sowohl im Sinne des wachsenden Nationalismus (“nationales Liedgut”) als auch der Rückbesinnung auf Ursprüngliches und Natürliches wächst die Bedeutung des Volksliedes im 19. Jh. Durch das Singen und Verinnerlichen der Texte hofft man auf eine ethische Erziehung des Volkes.
Das Kunstlied
Am Anfang ist das künstlerische Sololied mit Klavierbegleitung noch sehr eng mit den Idealen des Volksliedes verknüpft. So hat beispielsweise der Text den Vorrang. Die Musik soll ihn nur ins rechte Licht setzen. Auch wird die Strophenform als musterhaft angesehen. Da diese Gattung vorerst in die Sphäre der Hausmusik gehört und nicht für ein breites Publikum gedacht ist, läuft sie vorerst nur “nebenbei”; neben den großen breitenwirksamen Kompositionen, wie der Symphonie oder dem Oratorium. Dies alles kann man gut an den Liedern Beethovens nachvollziehen.
Es ist Franz Schubert, der das Kunstlied zu einer eigenständigen und viel beachteten Gattung emporhebt. In seinem kurzen Leben (1797–1828) komponierte er ungefähr 660 Lieder. Dabei gibt es drei Formtypen, die das Liedschaffen bestimmen:
Das Strophenlied: jede Strophe bekommt die gleiche Musik.
Das variierte Strophenlied: einzelne Strophen werden im Sinne des Textes variiert.
Das durchkomponierte Lied: jede Strophe bekommt ihre eigene Melodie.
Vor allem in den durchkomponierten Liedern stellt man fest, wie sich das Klavier aus seiner reinen Begleitfunktion löst und zum gleichberechtigten Partner der Sänger*innen wird. Um 1830 entsteht die “Ballade” als eigene Liedgattung, deren wichtigster Vertreter Carl Loewe ist. "Symptomatisch" sind die langen Texte, die die musikalische Vielfalt innerhalb eines Werkes befeuern.
Das “romantische” Kunstlied wird von Robert Schumann maßgeblich aus der Taufe gehoben. Er vertont vor allem zeitgenössische Texte, die schon allein einen starken Ausdruck besitzen. Der Klavierpart wird so wichtig, dass man manchmal den Eindruck gewinnt, es wäre ein Klavierstück mit Gesang. Tatsächlich wird die Gattung des Liedes zunächst als deutsches Phänomen wahrgenommen. Erst in der zweiten Jahrhunderthälfte beginnt das Kunstliedschaffen in anderen Ländern. Zu Gattung des Liedes gehören übrigens auch Lieder für mehrere Singstimmen, beispielsweise Duette.
Das deutsche Chorlied
Wie schon erwähnt, dienen Chöre im 19. Jahrhundert auch dazu, breite Bevölkerungsschichten zu erziehen und zu bilden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch das Lied in die Chorliteratur Einzug hält. Berühmte Komponisten schreiben mehrstimmige Lieder für verschiedene Besetzungen (in der ersten Jahrhunderthälfte besonders für Männerchor). Bevorzugt werden Heimat‑, Jagd‑, Trink- und Liebeslieder.
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Die Symphonie
Am Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt sich die Symphonie durch Beethoven zur vorherrschenden Gattung des öffentlichen Konzertlebens. Sie wird für die Komponisten mehr und mehr das bedeutendste Feld, um “zu zeigen, was man kann”. Die Symphonie wird zum repräsentativen Einzelwerk: noch Haydn schrieb über 100 Symphonien, Beethoven nur noch neun. Die Symphonie ist nun weder an eine repräsentative Funktion, noch an einen Text gebunden und damit kann sich in ihr die “reine” Musik zur Schau stellen. Das hat zur Folge, dass der Anspruch an den Zuhörer, vor allem aber auch an die Musiker, enorm steigt. Es entstehen öffentliche Konzertorchester mit Berufsmusikern. (Auch im Gewandhaus gab es im 18. Jahrhundert noch Musiker, die nur nebenberuflich Musik machten.)
Maßgeblich für die Entwicklung der Symphonie des 19. Jahrhunderts ist und bleibt Ludwig van Beethoven. Seine neun Symphonien schaffen es, den Gattungstypus zu revolutionieren, obleich sie formal durchaus von den Gattungstraditionen der Haydn’schen Symphonien geprägt sind. Als wichtigste Entwicklung ist wohl die dramatische Konzeption der Symphonien Beethovens zu sehen: alle Sätze sind voneinander abhängig, wobei es ein “Ziel” im Schlusssatz gibt. War der letzte Satz oft ein “Rausschmeißer”, wird er jetzt zum eben wirklichen “Finale”. Beethovens Zeitgenossen waren ziemlich irritiert ob dieser monumentalen, einzigartigen Werke. Man versuchte, seine Musik zu verstehen und bald wurden seine Symphonien zu DEN Musterbeispielen der Gattung. Beethoven galt als “Tondichter”, der die Ideale der Zeit, in der er lebte, nur mit Musik auszudrücken wusste. Dieser Gedanke war neu und führte dazu, dass man Musik ab jetzt versuchte zu “verstehen” und zu “interpretieren”. Nicht selten distanzieren sich Komponisten aber auch von Beethovens Art zu komponieren – das Verständnis war noch nicht groß genug. Viele bleiben den Mozart’schen Symphonien verpflichtet und können das, was Beethoven macht, buchstäblich nicht fassen. Die Komposition von “Symphonien nach Beethoven” ist unmittelbar mit der Auseinandersetzung mit dessen Symphonien zu sehen: Jeder Komponist versuchte, eine Lösung zu finden, wie man nach diesen ungeheuren Werken überhaupt noch eine Symphonie schreiben konnte. Neben dem Einbringen von Vokalstimmen (wie zum Beispiel im “Lobgesang” von Mendelssohn) bietet die Idee einer Programmatik den Ausblick auf eine Zukunft der Gattung.
Ein Meilenstein in der Entstehung der Programmsymphonie ist die “Symphonie fantastique” von Hector Berlioz. Der Gedanke ist dabei, ein dramatisches Werk nur durch Instrumentalmusik wiederzugeben. So hat diese “dramatische Symphonie” in der Regel fünf Sätze, wie die französische Oper fünf Akte hat. So wird also dieser Gattung ein Text vorangestellt, der den Hörer durch das Stück begleiten soll. Durch Kenntnis dieses Textes und der Ausführung der Musik entsteht im Kopf des Hörers eine Art imaginäre Oper als Verknüpfung unterschiedlicher Szenen. Die Programmsymphonie ist daher nicht von einer konsequenten musikalisch thematischen Arbeit (wie bei Beethoven), sondern von dem Verlauf des Inhalts geprägt. Im Sinne des Inhalts gerät die Musik auch manchmal an die Grenzen des guten Geschmacks: Hässlichkeit, Parodie und Extreme spielen eine große Rolle. Die “Symphonie fantastique” ist auch deshalb eine Meilenstein, weil Berlioz in ihr das erste Mal die “Idée fixe” verwendet. Es handelt sich dabei um ein musikalisches Motiv, das als Erinnerung immer wiederkommt und den Hörer damit an die Hand nimmt, um den Inhalt besser zu verstehen.
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Das Konzert
Das Instrumentalkonzert des beginnenden 19. Jahrhunderts ist geprägt von einer Auseinandersetzung zweier konkurrierender Ideen: Die des symphonischen Konzertes und die des Virtuosenkonzerts. Austragungsort ist vor allem das Klavierkonzert, da durch die neuen technischen Entwicklungen auf dem Konzertflügel klanglich und spieltechnisch ganz neue Möglichkeiten gegeben sind, die die Komponisten ausreizen wollen. Die Meisterwerke des symphonischen Klavierkonzerts sind die Werke Beethovens. Er schafft es, die Kompositionsprinzipien seiner Symphonien und damit deren Qualität auf das Konzert zu übertragen.
Der Typus des Virtuosenkonzerts entwickelt sich quasi parallel zu denen Beethovens. Hier kommt es mehr auf die brillante Spielweise an, die das Publikum unterhalten soll. Wirkungsvoll und spieltechnisch virtuos soll es sein. Eine musikalisch-thematische Arbeit innerhalb der Sätze und auch zwischen den Sätzen steht hier nicht im Vordergrund. Hauptvertreter sind Carl Maria von Weber, Friedrich Kalkbrenner und Frédéric Chopin.
Mit Mendelssohn und Schumann gehen diesen beiden Pole eine Verbindung ein: das brillante Klavierkonzert wird vermehrt symphonisch ausgebaut.
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Die Kammermusik
Die Kammermusik ist ein sehr wichtiger Bereich des musikalischen Lebens im 19. Jahrhundert. Getragen wird sie durch das Bürgertum, in dessen privaten Wohnungen sie meistens erklingt. Sie ist damit ein Ausdruck des Biedermeier, denn erst in der zweiten Jahrhunderthälfte finden flächendeckend öffentliche Kammermusiken und Liederabend statt. Die Entwicklung der Kammermusik geht, wie in der Symphonie, weg vom Serienwerk hin zum besonderen Einzelwerk, dessen Ausführung nicht länger Dilettanten überlassen sein darf. Die Kammermusik ist die Sparte der “Kenner” und “Gebildeten”, spricht den konservativen Menschen an und ihm gefallen. Die wichtigste Gattung der Kammermusik ist das Streichquartett. Wie die Symphonie auch wird dieses ganz maßgeblich von Beethoven geformt und geprägt. Seine “letzten Streichquartette” werden als die Kulmination der Gattung wahrgenommen und beeinflussen alle Werke späterer Komponisten. Beethoven vollzieht unter anderem mit der klanglichen Ausweitung seiner Werke den Wandel der Gattung zur Konzertgattung (hinaus aus den Wohnzimmern). Weitgehend unterschätzt werden die Streichquartette Franz Schuberts, die zwar die Gattung nicht so immens prägen wie die Beethovens, aber das “klassische” Streichquartett gut repräsentieren.
Auch im kammermusikalischen Oeuvre Mendelssohns stehen die Streichquartette im Vordergrund. Besonders Opus 44 gilt als Meisterwerk und inspiriert Zeitgenossen wie Schumann.
Neben dem Streichquartett gibt unzählige andere Besetzungen, die vor allem auch das Klavier mit einbeziehen (Klaviertrio, Klavierquintett…). Ansonsten scheint es, als wären der Besetzungsvielfalt keine Grenzen mehr gesetzt. Streicher und Bläser werden bunt gemischt und mit Oktetten und Nonetten kann man schon fast von kleinen Orchestern sprechen.
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Die solistische Klaviermusik
Wie bereits erwähnt, erfährt das Klavier durch technische und die damit klangliche verbundene Entwicklungen einen enormen Aufschwung und der reisende Klaviervirtuose wird zum Idealtypus. Musik für Klavier ist unheimlich beliebt und vollzieht einen Spagat zwischen Liebhaberkunst (man kann ALLEIN zu Hause für sich Musik machen) und Kunst für die großen Konzertpodien.
Es entstehen nur wenige neue Gattungen, aber die alten werden in jeglicher Hinsicht enorm erweitert und an den Geist der Romantik angepasst. Wichtig hierbei ist vor allem die Idee der “poetischen Musik”. Eine genaue Definition dieses Begriffes ist schwer zu erlangen, es ist mehr (wie vieles in der “Romantik”) Ausdruck eines Lebensgefühls. Die Idee, dass Literatur und Musik verknüpft sind gehört ebenso in diese Vorstellung, wie die Überzeugung, dass nur Musik gewisse Emotionen auszudrücken vermag und den Alltag durch Phantasie bereichern kann. Die Musik muss ausdrucksvoll sein und einzigartig. Neben allen Komponisten, die Klavierwerke geschrieben haben, sticht in diesem Sinne besonders Robert Schumann heraus.
Für die solistische Klaviermusik von enormer Bedeutung sind darüber hinaus Beethoven, Schubert, Mendelssohn Bartholdy und natürlich Chopin.
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Die Orgelmusik
Die Orgelmusik erhält im 19. Jahrhundert durch mehrere Faktoren eine neue Bedeutung. So spaltet sie sich nun endgültig von der Klaviermusik ab. Darüber hinaus wird auch sie Teil der öffentlichen Konzerte und ist somit nicht nur in der Kirche zu hören. Auch durch den Historismus und die damit verbundene Besinnung auf ältere Komponisten erlebt die Musik für Orgel einen enormen Aufschwung. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts wird die Musik für Orgel vor allem von Mendelssohn Bartholdy und Schumann geprägt.